Die Stiftsruine in Lippstadt ↓ Einleitung ↓ Als Kirche des Klosters ↓ Zerfall von Kirche und Ruine |
Vor 190 Jahren musste die nicht mehr aktiv genutzte Kirche wegen Einsturzgefahr geschlossen werden (1831). 15 Jahre später musste der Kirchturm abgetragen werden und anschließend das ganze Dach, um einen unkontrollierten Einsturz zu verhindern.
Ein Freund erzählte mir, dass sie in den 1970er Jahren als Kinder ganz selbstverständlich in der Stiftsruine gespielt haben und die Mauern hochgeklettert sind.
Auch der Lippstädter Verleger Carl Laumanns (1881 - 1960) kannte die Ruine noch als aktiv nutzbaren Ort und als sie noch malerisch von Efeu bewachsen war (dazu mehr am Ende des Textes). Laumanns war ein glühender Fan des alten Gemäuers und zitierte in seiner Tageszeitung gerne Lobpreisungen wie: „die schönste Kirchenruine Westdeutschlands“, „unsere malerische Stiftsruine“, „Blume der Romantik“, „Perle eleganten Übergangsstils“, „ein solches Kleinod edelster Baukunst“, „Lippstadts Kronjuwel“, durch das alle wichtigen Besucher der Stadt geführt wurden und z.B. die „staunende Bewunderung des Herrn Oberpräsidenten erregte“.
Die „Jungfraun“, also die Ordensschwestern, die in das Kloster einzogen, lebten nach den Augustinus-Regeln, kurz: Verzicht auf Besitz; Liebe und Eintracht, Enthaltsamkeit, Unterordnung, gegenseitiges Mahnen, regelmäßiges Beten.
Leider ist unklar, wann genau das Kloster und die Kirche gebaut wurden.
Man geht heute davon aus, dass mit dem Bau des Klosters nach der Stadtgründung von 1185 begonnen wurde.
Und mit der Kirche wurde vermutlich ein paar Jahre später begonnen.
Eine Urkunde, allerdings erst von 1642, behauptet, dass das Kloster „ehe und bevor der Stadt Lippe“ dagewesen
sein soll. Davon geht man aber heute nicht mehr aus.
In einer päpstlichen Urkunde von 1207 werden Kloster und Kirche genannt.
Hieraus kann man schließen, dass das Kloster vor 1200 bestanden haben muss
und dass 1207 zumindest mit dem Bau der Kirche begonnen worden war.
Am Anfang war für das neue Kloster nur eine kleine Kirche erforderlich.
Um 1250 wurde mit einem großen Anbau begonnen.
Doch gerieten die Arbeiten immer wieder ins Stocken, weil Geld fehlte.
Deshalb benötigte der hochgotische Hallenbau bis zu seiner Vollendung
rund 150 Jahre und sechs Baumeister.
Immer wenn neue Geldmittel flüssig gemacht worden waren, begann ein neuer Baumeister
und versuchte seine Vorgänger zu übertreffen.
Die Stiftskirche wurde als „Kleine Marienkirche“ bezeichnet, weil während ihrer langen Bauzeit schon die „Große Marienkirche“ neben dem Rathaus fertiggestellt worden war.
Für das Jahr 1486 ist bekannt, dass 46 Nonnen das Kloster bewohnten. Doch 1530 wurde das Nonnenkloster aufgelöst. Laumanns schrieb, dass es „den Stürmen des 16. Jahrhunderts zum Opfer gefallen ist“. Meinte er damit die Reformation? Danach wurde es in ein freiweltliches Damenstift für adelige Damen umgewandelt.
Der damalige Kreisphysikus stellte fest, dass man den pestilenzartigen Gestank [der Feuchtigkeit] keinem anständigen Christenmenschen zumuten könne, und riet zur Schließung der Kirche. Auch die Fundamente gaben dem Druck der Gewölbe langsam nach. Die Kirche musste daher 1831 wegen Einsturzgefahr geschlossen werden.
Für 2.300 Taler wurde die Kirche 1841 an den Meistbietenden auf Abbruch verkauft. Aber der neu gekrönte preußische König Friedrich Wilhelm IV. (genannt: der „Romantiker auf dem Thron“) entschied, die Kirche als Ruine zu erhalten und erteilte glücklicherweise keine Genehmigung zum Abbruch der Kirche.
Doch dann geschah nichts weiter und ein Teil der Gewölbe stürzte ein. Um Unfälle zu vermeiden wurden die Eingänge mit dichtem Dornengestrüpp zugepflanzt. 1846 wurde der Kirchturm vorsichtshalber abgetragen, und ein Jahrzehnt später auch das Dach und das restliche Gewölbe.
Auf alten Fotos von 1910 sieht man noch, wie rankendes Efeu der Ruine eine romantische Atmosphäre verlieh.
1929 schrieb Laumanns: „Was ich sah, war keine Verbesserung.
Daß man das Efeu an vielen Stellen mit rauher Hand von dem
moosigen, altersgrauen Gestein heruntergerissen hat, mag ja gut gemeint sein.
Aber ist nicht die Ruine dadurch eines alten poetischen Zaubers beraubt worden?
Denn die Natur bedeckte liebevoll die Wunden und Schrunden eines altehrwürdigen
Heiligtums, das unvernünftige und engherzige Menschen vor
etwa 109 Jahren mit Absicht dem Verfall preisgegeben haben.
Als der gute alte Blankenburg die Stiftsruine vor etwa 60 Jahren „entdeckte",
— es war damals ein wüster Trümmerhaufen — sammelte er die ihm wertvoll
erscheinenden Bruchstücke der Skulpturen und Ornamente und häufte sie auf
an der Stelle des alten Hochaltars, den gewissenloser Eigennutz für
einige Silberlinge in den 1850er Jahren nach Krefeld verschachert hatte.
In pietätvoller Weise pflanzte der alte Stiftsrentmeister dahin, wo
einst der Tabernakel mit dem Sanktissimum gestanden hatte,
eine Trauerweide als sinniges Symbol der Wehmut über ein zerstörtes Gotteshaus.
Die Trauerweide war in den letzten Jahren etwas stark vom Sturme zerzaust; jetzt ist sie ganz verschwunden.
Nur noch kümmerliche Reste der alten Architekturteile liegen in unschönem Durcheinander
an der Stelle, die einst einen romantischen Zauber ausströmte.“
Das Problem mit der Ruine ist ihr fortschreitender Zerfall, auch durch den instabilen Untergrund.
Bereits 1894 schrieb der Patriot: „Heute wurde im Auftrage der Regierung die nördliche Mauer der hiesigen Stiftsruine abgelothet.
Es ergab sich das Resultat, daß diese Mauer um 70 Ctmtr. auf einer Höhe von 14 Mtr. aus dem Loth gewichen war.
In Folge dessen, wird die Mauer vorläufig mit starken Balken abgestrebt.“
Der Zutritt blieb jedoch erlaubt, z.B. wurden 1928 ganz offiziell 20 Pfennig Eintritt verlangt.
Die Hauptursache für den sich verschlechternden Zustand ist heute noch die gleiche wie 1819, nämlich Feuchtigkeit.
Ohne ein Dach, bzw. damals mit einem kaputten Dach, dringt Regenwasser in die Mauerritzen ein.
Bei jedem Frost werden die Fugen etwas weiter aufgesprengt. Und Pflanzen treiben ihre Wurzeln in die Ritzen.
Der Mörtel bricht auf und die Steine werden locker.
Nachdem tatsächlich Teile des Mauerwerks ins Kircheninnere gestürzt waren,
schlug 1964 ein Gutachter vor, die gesamte Ruine zu überdachen.
Dies fand allerdings nicht die Zustimmung des Landeskonservators.
Stattdessen wurde wieder Efeu entfernt und das Mauerwerk ausgebessert.
1973 kam es in der Bevölkerung zu Unmut, weil die Stiftsverwaltung (Kreis Soest) auf dem Gelände „Betreten verboten“-Schilder aufgestellt hatte, da es sich nicht um einen öffentlichen Park, sondern um Privateigentum der Stiftung handelt. Die Stiftsverwaltung äußerte sich, dass die Satzung der Stiftung den Zweck festlegt, die Anlagen zu erhalten. Es ist nicht der Zweck der Stiftung, einen öffentlichen Bürgerpark zu unterhalten. Es wurde der Kompromiss gefunden, dass die Wege zugänglich bleiben, dafür die Stadt Lippstadt die Pflege des Geländes übernimmt.
Von 1976 bis 78 wurde die Stiftsruine eingerüstet:
„Die Instandsetzungsarbeiten sind notwendig, um die Ruine zu erhalten
und sie für Besucher gefahrlos zugänglich zu machen.“
Aber ich weiß nicht, ob die Ruine danach nochmal geöffnet wurde. 1979 wurde innen Buschwerk entfernt.
Und 1980 wurde das Tor vom Park zur Stiftstraße verschlossen.
Ich vermute, dass das Gelände seitdem kulturell nicht mehr aktiv genutzt wurde.
Postkarte von 1910, mit Büschen und Bäumen
Vorbei sind die Zeiten, als in den 1920ern in einem Westfalen-Reiseführer geschrieben wurde: „Wenn Lippstadt nichts anderes besäße als seine Stiftskirchenruine, so wäre es schon deshalb eines Besuches wert.“
Da können wir heute nur noch neidisch nach Bad Hersfeld in Hessen schauen, denn die dortige Stiftsruine hat 2019 ein 1.600 qm großes Zeltdach bekommen, um die Ruine wetterfest zu machen und dort die Bad Hersfelder Festspiele veranstalten zu können.