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Die Stiftsruine in Lippstadt, Fotos von um 1900


 
Die Stiftsruine in Lippstadt

 ↓ Einleitung
 ↓ Als Kirche des Klosters
 ↓ Zerfall von Kirche und Ruine

Eine der schönsten Kirchenruinen Deutsch­lands steht mitten in Lipp­stadt und ist zugleich eines der ältes­ten Bau­werke der Stadt. Als Stiftskirche war sie von nach 1200 bis 1820 in Be­nut­zung. Und in der späte­ren Ruine gaben Orches­ter und Chöre bis in die 1970er Jah­re Konzerte. Doch seit­dem der Zugang zur Ruine ge­sperrt ist, wird sie lei­der kaum noch wahr­ge­nom­men.

Vor 190 Jahren musste die nicht mehr aktiv ge­nutzte Kirche wegen Ein­sturz­gefahr ge­schlos­sen wer­den (1831). 15 Jah­re spä­ter musste der Kirch­turm ab­ge­tra­gen wer­den und an­schlie­ßend das ganze Dach, um einen unkon­trol­lier­ten Ein­sturz zu ver­hin­dern.

Ein Freund erzählte mir, dass sie in den 1970er Jah­ren als Kinder ganz selbst­verständ­lich in der Stifts­ruine ge­spielt haben und die Mauern hoch­geklet­tert sind.

Auch der Lippstädter Verleger Carl Laumanns (1881 - 1960) kannte die Ruine noch als aktiv nutz­baren Ort und als sie noch male­risch von Efeu be­wach­sen war (dazu mehr am Ende des Textes). Lau­manns war ein glühen­der Fan des alten Ge­mäuers und zi­tierte in sei­ner Tages­zeitung gerne Lob­preisungen wie: „die schönste Kirchen­ruine West­deutsch­lands“, „unsere male­ri­sche Stifts­ruine“, „Blume der Roman­tik“, „Perle elegan­ten Über­gangs­stils“, „ein sol­ches Kleinod edel­ster Bau­kunst“, „Lipp­stadts Kron­juwel“, durch das alle wich­ti­gen Be­sucher der Stadt ge­führt wur­den und z.B. die „stau­nende Bewun­de­rung des Herrn Ober­präsi­den­ten er­regte“.


Als Kirche des Augustinerinnen-Nonnenkloster

Die Stiftskirche gehörte zu einem Kloster (Marienstift), das heute nicht mehr steht. Auf dem Grundstück soll zuvor das Eltern­haus von Bern­hard II. zur Lippe ge­stan­den haben. Nach Lipp­stadts Stadt­grün­dung 1185 stif­tete Bern­hard II. im Alter von 45 Jah­ren einen Teil sei­nes ge­erb­ten Ge­län­des zum Bau des Klosters. Denn der Stadt­gründer war nicht nur ein Ritter, son­dern war auch ein Geistli­cher. Die Rose (Lippische Rose) ist auch ein Symbol für die hei­lige Maria.

Gestiftet wurde, um ein gottgefäl­li­ges Werk zu tun. Hierzu wurde im ↗Lippi­florium ge­schrieben:
„... es stiftet alsbald der fromme Begründer des Ortes,
Gottes Ruhm zu erhöhn, alles zu ordnen bedacht,
Christus dem Herrn zur Ehr und der heiligen Mutter ein Kloster,
daß sie gepriesen darin würden auf ewige Zeit.
Jungfraun ruft er herbei, die Christus ergeben in Keuschheit
und durch Augustins heilige Regel vereint, ...“

Die „Jungfraun“, also die Ordens­schwes­tern, die in das Kloster ein­zogen, lebten nach den Augus­tinus-Regeln, kurz: Ver­zicht auf Besitz; Liebe und Ein­tracht, Enthalt­sam­keit, Unter­ordnung, gegen­sei­ti­ges Mah­nen, regel­mäßi­ges Beten.

Leider ist unklar, wann genau das Kloster und die Kirche ge­baut wur­den. Man geht heute davon aus, dass mit dem Bau des Klos­ters nach der Stadt­grün­dung von 1185 be­gon­nen wurde. Und mit der Kirche wurde ver­mut­lich ein paar Jahre spä­ter be­gon­nen.
Eine Urkunde, allerdings erst von 1642, be­haup­tet, dass das Kloster „ehe und bevor der Stadt Lippe“ da­ge­wesen sein soll. Davon geht man aber heute nicht mehr aus.
In einer päpstlichen Urkunde von 1207 werden Klos­ter und Kirche ge­nannt. Hieraus kann man schlie­ßen, dass das Klos­ter vor 1200 be­stan­den haben muss und dass 1207 zu­min­dest mit dem Bau der Kir­che be­gon­nen wor­den war.

Am Anfang war für das neue Kloster nur eine kleine Kirche er­for­der­lich. Um 1250 wurde mit einem gro­ßen Anbau be­gon­nen. Doch ge­rie­ten die Arbei­ten immer wie­der ins Sto­cken, weil Geld fehlte. Deshalb be­nö­tigte der hoch­goti­sche Hallen­bau bis zu sei­ner Voll­endung rund 150 Jah­re und sechs Bau­meister.
Immer wenn neue Geld­mittel flüs­sig ge­macht wor­den wa­ren, be­gann ein neuer Bau­meis­ter und ver­suchte seine Vor­gän­ger zu über­tref­fen.
Zeichnung der ehemaligen Kirche

Die Stiftskirche wurde als „Kleine Marien­kirche“ be­zeich­net, weil wäh­rend ihrer langen Bau­zeit schon die „Große Marien­kirche“ neben dem Rat­haus fertig­ge­stellt wor­den war.

Für das Jahr 1486 ist bekannt, dass 46 Nonnen das Kloster be­wohn­ten. Doch 1530 wurde das Nonnen­kloster auf­ge­löst. Laumanns schrieb, dass es „den Stürmen des 16. Jahr­hun­derts zum Opfer ge­fal­len ist“. Meinte er damit die Refor­ma­tion? Danach wurde es in ein frei­welt­liches WikipediaDamen­stift für ade­lige Damen um­ge­wan­delt.


Der Zerfall der Kirche

Bei einem starken Sturm wurde 1819 das Dach der Stifts­kirche stark be­schä­digt, wo­durch seit­dem Wasser ein­drang. Da dem Damen­stift das Geld für Repa­ra­tu­ren fehlte, wurde die Kirche 1820 ver­las­sen und ver­fiel all­mäh­lich. Zudem wurde die Kirche häu­fig vom Lippe-Hochwas­ser über­schwemmt.

Der damalige Kreisphysikus stellte fest, dass man den pestilenz­artigen Gestank [der Feuch­tig­keit] keinem anstän­di­gen Christen­menschen zu­muten könne, und riet zur Schlie­ßung der Kirche. Auch die Funda­mente gaben dem Druck der Gewölbe lang­sam nach. Die Kirche musste daher 1831 wegen Einsturz­gefahr ge­schlos­sen wer­den.

Für 2.300 Taler wurde die Kirche 1841 an den Meist­bieten­den auf Abbruch ver­kauft. Aber der neu gekrönte preußi­sche König WikipediaFriedrich Wil­helm IV. (ge­nannt: der „Romanti­ker auf dem Thron“) ent­schied, die Kirche als Ruine zu er­hal­ten und er­teilte glück­li­cher­weise keine Ge­nehmi­gung zum Ab­bruch der Kirche.

Doch dann geschah nichts weiter und ein Teil der Gewölbe stürzte ein. Um Unfälle zu ver­meiden wur­den die Ein­gänge mit dich­tem Dornen­gestrüpp zu­ge­pflanzt. 1846 wurde der Kirch­turm vor­sichts­hal­ber ab­ge­tra­gen, und ein Jahr­zehnt spä­ter auch das Dach und das rest­liche Ge­wölbe.

Auf alten Fotos von 1910 sieht man noch, wie ranken­des Efeu der Ruine eine roman­ti­sche Atmos­phäre ver­lieh.
1929 schrieb Laumanns: „Was ich sah, war keine Ver­bes­se­rung. Daß man das Efeu an vielen Stel­len mit rauher Hand von dem moosi­gen, alters­grauen Ge­stein herun­ter­geris­sen hat, mag ja gut ge­meint sein. Aber ist nicht die Ruine da­durch eines alten poeti­schen Zaubers be­raubt wor­den? Denn die Natur be­deckte liebe­voll die Wunden und Schrunden eines alt­ehr­würdi­gen Heilig­tums, das unvernünf­tige und eng­herzige Men­schen vor etwa 109 Jah­ren mit Ab­sicht dem Ver­fall preis­gege­ben haben. Als der gute alte Blanken­burg die Stifts­ruine vor etwa 60 Jah­ren „ent­deckte", — es war da­mals ein wüster Trümmer­haufen — sammelte er die ihm wert­voll er­schei­nen­den Bruch­stücke der Skulp­turen und Orna­mente und häufte sie auf an der Stelle des alten Hoch­altars, den gewissen­loser Eigen­nutz für einige Silber­linge in den 1850er Jah­ren nach Krefeld ver­schachert hatte. In pietät­voller Weise pflanzte der alte Stifts­rent­meister dahin, wo einst der Taber­nakel mit dem Sanktis­simum ge­stan­den hatte, eine Trauer­weide als sinniges Symbol der Weh­mut über ein zer­stör­tes Gottes­haus. Die Trauer­weide war in den letz­ten Jah­ren etwas stark vom Sturme zer­zaust; jetzt ist sie ganz ver­schwun­den. Nur noch kümmer­liche Reste der alten Archi­tek­tur­teile lie­gen in unschö­nem Durch­ein­ander an der Stelle, die einst einen roman­ti­schen Zauber aus­strömte.“

Das Problem mit der Ruine ist ihr fort­schrei­ten­der Zer­fall, auch durch den insta­bi­len Unter­grund. Bereits 1894 schrieb der Patriot: „Heute wurde im Auftrage der Regie­rung die nörd­liche Mauer der hiesi­gen Stifts­ruine ab­ge­lothet. Es ergab sich das Resul­tat, daß diese Mauer um 70 Ctmtr. auf einer Höhe von 14 Mtr. aus dem Loth ge­wichen war. In Folge des­sen, wird die Mauer vor­läu­fig mit star­ken Bal­ken ab­ge­strebt.“
Der Zutritt blieb jedoch er­laubt, z.B. wur­den 1928 ganz offi­ziell 20 Pfen­nig Ein­tritt ver­langt.

Die Hauptursache für den sich verschlech­tern­den Zustand ist heute noch die gleiche wie 1819, näm­lich Feuch­tig­keit. Ohne ein Dach, bzw. damals mit einem kaput­ten Dach, dringt Regen­was­ser in die Mauer­ritzen ein. Bei jedem Frost werden die Fugen etwas weiter auf­ge­sprengt. Und Pflanzen trei­ben ihre Wur­zeln in die Rit­zen. Der Mörtel bricht auf und die Steine wer­den locker.
Nachdem tatsächlich Teile des Mauer­werks ins Kirchen­innere ge­stürzt waren, schlug 1964 ein Gut­achter vor, die gesamte Ruine zu über­dachen. Dies fand aller­dings nicht die Zu­stim­mung des Landes­konser­va­tors. Statt­des­sen wurde wieder Efeu ent­fernt und das Mauer­werk aus­ge­bes­sert.

1973 kam es in der Bevölke­rung zu Unmut, weil die Stifts­verwal­tung (Kreis Soest) auf dem Ge­lände „Betre­ten verbo­ten“-Schilder auf­ge­stellt hatte, da es sich nicht um einen öffent­li­chen Park, son­dern um Privat­eigen­tum der Stif­tung han­delt. Die Stifts­verwal­tung äußerte sich, dass die Sat­zung der Stif­tung den Zweck fest­legt, die An­lagen zu er­hal­ten. Es ist nicht der Zweck der Stif­tung, einen öffent­li­chen Bürger­park zu unter­hal­ten. Es wurde der Kompro­miss ge­fun­den, dass die Wege zu­gäng­lich blei­ben, dafür die Stadt Lipp­stadt die Pflege des Ge­län­des über­nimmt.

Von 1976 bis 78 wurde die Stifts­ruine ein­ge­rüstet: „Die Instand­set­zungs­arbei­ten sind not­wen­dig, um die Ruine zu er­hal­ten und sie für Besu­cher gefahr­los zu­gäng­lich zu machen.“
Aber ich weiß nicht, ob die Ruine danach noch­mal ge­öff­net wurde. 1979 wurde innen Busch­werk ent­fernt. Und 1980 wurde das Tor vom Park zur Stift­straße ver­schlos­sen. Ich ver­mute, dass das Gelände seit­dem kultu­rell nicht mehr aktiv ge­nutzt wurde.


Ansichtskarte
Postkarte von 1910, mit Büschen und Bäumen

Vorbei sind die Zeiten, als in den 1920ern in einem West­falen-Reise­führer ge­schrie­ben wurde: „Wenn Lipp­stadt nichts ande­res be­säße als seine Stifts­kirchen­ruine, so wäre es schon des­halb eines Besu­ches wert.“

Da kön­nen wir heute nur noch nei­disch nach Bad Hers­feld in Hes­sen schauen, denn die dor­tige Stifts­ruine hat 2019 ein 1.600 qm gro­ßes Zelt­dach be­kom­men, um die Ruine wetter­fest zu machen und dort die Bad Hers­felder Fest­spiele ver­an­stal­ten zu kön­nen.


Text: Jörg Rosenthal.
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