Die Einhorn-Apotheke um 1900, ohne Schaufenster |
Zur Schließung nach 304 Jahren |
Die Engel-Apotheke, 1625 bis 1993
Die erste urkundliche Erwähnung eines Apothekers in Lippstadt stammt aus dem Jahr 1625 – der Stadt-Apotheker legte einen Bürgereid ab und wurde später im Kirchenbuch erwähnt. Die Stadt-Apotheke befand sich – laut Carl Laumanns nach mündlicher Überlieferung – im heute unter dem Namen Mattenklott-Haus an der Rathausstraße 2 bekannten Gebäude. Laumanns leitet daraus die Vermutung ab, dass die Stadt-Apotheke schon vor 1625 entstanden sein könnte, vielleicht sogar schon 1603, da das heutige Mattenklott-Gebäude in diesem Jahr fertiggestellt wurde. Ob aber die Fertigstellung des Hauses als ein Beleg für das Vorhandensein einer Apotheke gewertet werden sollte, ist anzuzweifeln.
Die Stadt-Apotheke wurde laut Laumanns auch Rats-Apotheke genannt. 1720 taucht erstmals der Name Engel-Apotheke für diese Apotheke auf, vermutlich im Rahmen des Umzugs aus dem Mattenklott-Haus an die Lange Straße 28, Ecke Poststraße (heute Targo-Bank). Die Engel-Apotheke schloss am 31.12.1993.
Der Engel der Apotheke:
Im Rahmen der Schließung der Stiftskirche (heute Stiftsruine) im Jahr 1831 kaufte der damalige Apotheker
allerlei Kircheninventar, u.a. den Engel, der zum Wahrzeichen der Engel-Apotheke wurde.
Dieser verschwand – wohl im Zuge der Schließung der Apotheke – und wurde 2013 durch einen Zufall wiederentdeckt.
2015 wurde eine Replik des Engels am angestammten Platz über der Tür des Gebäudes Lange Straße Ecke Poststraße
nebst Info-Tafel im Fenster angebracht.
Die Adler-Apotheke, 1684 bis 1806
1806 verließ der damalige Apotheker aus unbekannten Gründen Lippstadt
und die Adler-Apotheke wurde geschlossen.
Ab 1972 gab es noch eine andere Adler-Apotheke in Lippstadt, die nichts mit der ursprünglichen Adler-Apotheke zu tun hat.
Die neue Adler-Apotheke befand sich von 1972 bis 2005 an der Woldemei 24.
Die Einhorn-Apotheke, 1712 bis 2017
Vom ersten Tag an befand sich die Einhorn-Apotheke in dem Haus, in dem sie auch bis 2017 war (siehe Foto ganz oben). Das Gebäude ist nach dem großen Stadtbrand von 1656 erbaut worden und gehört damit zu den ältesten, erhaltenen Häusern in Lippstadt.
Der Apothekerstreit (1801-1806)
In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts kämpften die Inhaber um den Fortbestand ihrer Apotheken, denn im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) und den Folgejahren war die Einwohnerzahl so stark gesunken, dass aus wirtschaftlichen Erwägungen eine der Apotheken schließen sollte. Aber welche? Zwei waren sich einig: Die dritte – die Einhorn-Apotheke – solle schließen.
Der Treppenwitz der Geschichte ist, dass ausgerechnet die Einhorn-Apotheke bis zuletzt überlebte (bis 2017). Denn wie oben bereits geschrieben: 1806 verließ der Apotheker der Adler-Apotheke überraschend und aus unbekannten Gründen die Stadt, woraufhin seine Adler-Apotheke geschlossen wurde.
1905: Ladenschluss schon um 21 Uhr
Der letzte Apotheker
1983 kaufte Merten Thurmann die Einhorn-Apotheke und konnte sowohl das 275-jährige als auch
das 300-jährige Jubiläum der Einhorn-Apotheke feiern.
Zum 31. Mai 2017 schloss die letzte der ältesten Apotheken Lippstadts nach knapp 305 Jahren.
Apotheker Thurmann verabschiedete sich mit einer Traueranzeige (siehe ganz oben) von seinen Stammkunden.
Das Lessing-Zitat „Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche“, war stets über dem Ausgang der Apotheke zu lesen, die letztlich zwar nicht nur,
aber auch am Gift der Bürokratie gestorben ist.
Es ist ein endgültiger Abschluss, der einen letzten Punkt hinter die teils turbulente Geschichte
der ersten drei Apotheken Lippstadts setzte.
Seit 2018: Café „Apotheke Deli Kaffee“
Der Spruch „Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche“, ist jetzt überstrichen.
Er wäre auch unpassend, denn in den Regalen der alten Einrichtung (gleich mehr dazu) befinden sich heute keine Medikamente mehr,
sondern Geschenkartikel, Süßigkeiten und Leckereien, Postkarten und andere wunderschöne Mitnahmedinge.
In den ehemals hinteren Räumen der Einhorn-Apotheke befindet sich das Café.
Das Gebäude – innen und außen:
Die denkmalgeschützte Einrichtung im neugotischen Stil besteht aus Eiche und Muskatbaum mit Burgen- und Kirchenmotiven,
unter den Zinnen sind vierblättrige Kleeblätter eingearbeitet.
Die Schnitzereien sind aus Rosenholz gefertigt. Ein Teil der Schubladen ist mit Porzellan-Einfassungen versehen
und ziert noch immer den Verkaufsraum.
Das Gebäude ist ein Giebel-Fachwerkbau, das Füllwerk ist aus Steinen mit Lehm, Stroh und teilweise zusammengehalten von Sackleinen. Die Vorderfront besteht aus einer Schieferbedeckung, wie bei allen Häusern in diesem Straßenabschnitt auf der Ostseite.
Auch die aus Eichenholz bestehende Eingangstür steht unter Denkmalschutz.
In der Mitte der Türflügel kann man (wahrscheinlich) zwei geschnitzte Jakobsmuscheln
und vier Äskulap-Schlangen sowie
geschlungene Blumenornamente erkennen.
Die Glasscheibe mit
dem Schriftzug „Einhorn-Apotheke – Inhaber Merten Thurmann“ ging (dem Hören-Sagen nach!) bei
dem Tornado am 20.05.2022 zu Bruch und wurde eine neue, schlichte Scheibe ersetzt.
Ob das Gebäude weitere Tornado-Schäden erlitten hatte, ist aufgrund seiner Lage zu vermuten, wurde aber
für diesen Beitrag nicht recherchiert.
Eine detaillierte Rekonstruktion der Standorte der Apotheken, der Namen, Daten und Werdegänge der Apotheker
und eine schöne Anekdote über das Wiederfinden des Engels der Apotheke und anderer Dinge, die zur Evakuierung des Stadtmuseums
durch den Kampfmittelräumdienst führten, lesen im ausführlichen Original-Beitrag.
Sämtliche Quellenangaben finden sich am Ende des Original-Beitrags in den Heimatblättern!
Aus: Rita Maria Fust: Engel, Adler und Einhorn – Die ersten Apotheken Lippstadts und ihre Geschichte und der Lippstädter Apothekerstreit (1801-1806). In: Heimatblätter Lippstadt 2017. Seite 17-30.
Lese-Tipp: Die Geschichte der drei Apotheken und ihres Streits finden sich ebenfalls wieder in dem historischen Roman: ↗„Die Gunst der Königin“ von Rita Maria Fust, Gmeiner-Verlag 2016.
Ergänzung
Die Nord-Apotheke, 1952 bis 2013
Die ehemalige Nord-Apotheke an der Beckumer Straße gehörte zwar nicht zu den historischen Apotheken, war aber unseren Generationen jahrzehntelang bekannt. Die Nord-Apotheke wurde 1952 eingerichtet.
Nach 22 Jahren gab der Apotheker Walter Kobow das Geschäft 1974 an seine Tochter weiter. Die Apothekerin leitete die Nord-Apotheke 39 Jahre lang weiter, bis zur Schließung am 31. Dezember 2013.
Der Patriot berichtete am 16.01.2014: „Aufgrund der neuen Apothekenbetriebsordnung wären erhebliche Umbaumaßnahmen erforderlich gewesen, die nicht finanzierbar waren“, so die Apothekerin.
Im Web habe ich die 4. Novelle der ↗Apothekenbetriebsordnung von 2012 gefunden, die einen Umbau mit barrierefreiem Zugang fordert und neue Dokumentationspflichten einführt, was auch den Weiterbetrieb der Einhorn-Apotheke verhinderte (2017 geschlossen).
Eine weitere Seite beschreibt die allgemeine Entwicklung der Apotheken in Europa seit dem Mittelalter.
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