Zurück  •  Startseite Historisches Lippstadt  •  Impressum & Datenschutz
Die Tage zuvor waren bereits stürmisch. Beim Unwetter am Freitag, dem 20. Mai 2022 bilde­ten sich ca. 8 Tor­na­dos, davon über West­falen 3 stär­kere der Klasse F2.
Der erste zerstörerische Tornado zog durch Lipp­stadt, der zweite durch Pader­born und der dritte durch den Kreis Höxter - und sie hinter­ließen dabei Schneisen der Verwüs­tung.

Der 2023 erschienene Bildband „30 Sekun­den“ von ↗Liza Günther do­ku­men­tiert mit 100 ausge­wähl­ten Fotos die Aus­wir­kun­gen des Torna­dos in Lippstadt. Das Buch ist für 29,90 € bei der Stadt­informa­tion im Lipp­städ­ter Rat­haus er­hält­lich.

Der neue Fotoband von Liza Günther ist bei der Stadt­informa­tion erhältlich.


1928
Windhosen sind in Deutschland meistens schwach, von kurzer Dauer, lokal begrenzt und generell selten, so dass nicht jede Genera­tion einen zerstöre­ri­schen Tornado in ihrer Heimat­stadt mit­erlebt.

Die letzte historische Windhose in Lippstadt ist schon fast 100 Jah­re her: sie fegte am 25. Ja­nu­ar 1928 über den Lipp­städ­ter Süden hin­weg und deckte am Hasenfang 10 Haus­dächer teil­weise ab. Strom- und Telefon­leitun­gen wur­den ab­ge­ris­sen.


2022: Tornado mit Ansage
Der Tornado am Freitag, dem 20. Mai 2022 über Lipp­stadt war viel­leicht der heftig­ste, den diese Stadt bis­her er­lebt hat, und er war sicher­lich der erste, auf den sich die Lipp­städ­ter mit zwei Tagen Vor­war­nung ein­stel­len konn­ten ...

Bereits am Mittwoch, dem 18. Mai schrieb der Deutsche Wetter­dienst: „Richtig "böse" wird es aber am Freitag ... Schluss­endlich ist auch die Wahr­schein­lich­keit für das Auf­treten von Tornados deut­lich er­höht.“
Am Donnerstag schrieb Tagesschau online, dass es ideale Bedin­gun­gen für Torna­dos geben wird. Vermei­den Sie Auf­ent­halte im Freien.

Ob und wo genau eine Windhose entstehen wird, ist nicht vorher­sagbar. Eine der Voraus­setzun­gen für die Ent­stehung ist näm­lich, dass der Wind quasi spon­tan Haken schlägt, denn da­durch kom­men Rota­tion und Sog über­haupt erst in Gang. Zudem ist eine Wind­hose zu klein, im Gegen­satz zu einem Hurrikan, als dass man sie über­haupt auf Satel­liten­bildern oder einem Wetter­radar sehen könnte. Für Meteo­ro­lo­gen sind Torna­dos selbst dann nicht sicht­bar, wenn sie be­reits wüten.

Dass es in Europa am Freitag stürmisch werden würde, war offen­sicht­lich, denn die Tempera­tur­unter­schiede waren be­reits inner­halb Deutsch­lands groß: Während es in Rostock 17°C kühl war, war es in Offen­burg 34°C heiß. Im konti­nen­talen Maß­stab waren die Unter­schiede noch größer.

Am Freitag ent­wickelte sich ein Sturm­tief über Frank­reich. In gera­den Jah­ren, wie 2022, erhal­ten Tief­druck­gebiete weib­liche Vor­namen. Seit 2002 kann in Deutsch­land ein Wetter­pate eine Namens-Patenschaft über­nehmen. Namens­patin für dieses Tief an jenem Frei­tag wurde die Gast­hof-Besitze­rin Emme­linde W. aus dem Kreis Olpe. Und so zog das Sturm­tief namens Emme­linde von Frank­reich über Bene­lux nach Deutsch­land.

Das unvorhergesehene Ende der über 180 Jahre alten Friedenseiche.

Tornado über Lippstadt
Die Windhose entstand gegen 16:35 Uhr bei Eickel­born, zumin­dest er­reichte ihr Rüssel hier erst­mals Boden­nähe, was erste Schäden ver­ur­sachte. In Eickel­born wurde das Dach eines Super­markts be­schä­digt. Der Tornado wanderte weiter nach Benning­hausen, wo er ein Dach der Klinik ab­deckte. Hier hatte die Schadens­schneise unge­fähr eine Breite von 300 Metern.

Auf dem Weg Richtung Hellinghausen wurden mehrere Dächer eines Bauern­hofes zer­stört und ein Wald­stück flächig umge­wor­fen. In Helling­hausen wurde das Dach des Kirch­turms komplett ab­ge­ris­sen und das Dach des Kirchen­schiffs wurde an­ge­hoben und in Gänze um 30 cm ver­scho­ben.

Auf dem Weg Richtung Lippstadt wuchs die Breite der Schadens­schneise in der Helling­hauser Mersch auf ihr Maxi­mum von 900 Metern Breite an. Hier kam es zu erheb­lichen Vegeta­tions­schäden. Ich glaube wir kön­nen von Glück reden, dass die Helling­hauser Mersch nicht be­baut ist, denn hier wäre die Menge der Gebäude­schäden viel­leicht doppelt so hoch ge­we­sen wie später in der Innen­stadt, wo die Breite der Schneise schon auf ca. 600 Meter zurück­gegan­gen war.

Der Tornado zog südlich von Cappel auf den Wein­berg und die Udener Straße zu. Die meisten Bäume knickten um, die Dächer des Evange­li­schen Gymna­siums und der WLE wurden abge­deckt. Im CabrioLi wur­den 120 Bade­gäste ein­ge­schlos­sen.

An der Friedrichstraße knickten alle Allee­bäume ab, das Dach der Friedrich­schule wurde teil­weise abge­deckt, ebenso wie die Dächer un­zäh­li­ger Wohn­häuser auf dem gesam­ten Weg des Tor­na­dos.

Nun hatte der Tornado die Lippstädter Alt­stadt er­reicht, verur­sachte Schäden an Cappel­tor und Cappel­straße, an der Nikolai­schule, und deckte teil­weise das Dach des Stadt­museums ab. An der nörd­lichen Langen Straße wur­den Dächer abge­deckt und am Rathaus­platz wurde die große Friedens­eiche ent­wur­zelt. Wie der große und be­kannte Baum nun umge­kippt auf dem zentra­len Platz der Stadt lag, wurde zum Symbol­bild des Torna­dos in Lipp­stadt.

Das Umwerfen der Friedenseiche war der vor­letzte große Kraft­akt des Sturms, denn als er die Stadt über den Grünen Winkel ver­ließ, knickte er dort noch dutzende Bäume ab, aber die Breite der Schneise hatte sich be­reits um die Hälfte ver­rin­gert.
In Esbeck gab es noch einige leich­tere Schäden, ebenso in Hörste, wo dieser Tor­nado (zunächst) endete.

Auf seinem Weg von Eickelborn bis Hörste war der Tor­nado von West nach Ost durch die Orts­teile fast in der größ­ten Aus­deh­nung Lipp­stadts ge­zogen. Dabei hat er über 13 km zurück­gelegt, in nur 20 Minu­ten.
Aus der punktu­ellen Sicht eines einzel­nen Augen­zeugen kommt es zu einem über­raschen­d starken und ein­drucks­vollen Schadens­ereig­nis - und nach 30 Se­kun­den ist der Spuk schein­bar vor­bei. Deshalb finde ich den Titel des o.g. Buchs so tref­fend. Auch bei der Wind­hose von 1928 wurde von einer be­obach­te­ten Dauer von nur 30 Sekun­den be­rich­tet.

Wir haben Glück gehabt, dass der Tor­nado größten­teils über unbe­bau­tes Gebiet ge­zogen ist. In einer größe­ren Metro­pole wäre man nicht so glimpf­lich davon ge­kom­men, denn in Lipp­stadt gab es keine Personen­schäden, was bei der großen An­zahl an Vegeta­tions- und Sach­schäden wirk­lich über­raschend ist. Glück im Unglück.

Es wird vermutet, dass der Lippstädter Tornado der­selbe war, der an­schlie­ßend in Pader­born wütete. Demnach hätte der Rüssel zwischen­durch keine Boden­nähe mehr er­reicht, wo­durch es hinter Hörste zu­nächst nicht mehr zu Schäden kam. Doch gegen 17:10 Uhr trat er öst­lich von Salz­kotten wieder auf und fegte dann quer durch Pader­born. Dort waren die Schäden größer als in Lipp­stadt: In Pader­born gab es 43 Ver­letzte, davon 12 Schwer­verletzte.
 

Dies war der erste Teil zu diesem Thema. In einem zweiten Teil will ich dem­nächst auf Details und Folgen ein­gehen. Wenn Sie eigene Fotos, Videos oder einen Augen­zeugen­bericht haben, kön­nen Sie sich gerne bei mir melden.

Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit einem ande­ren Un­wet­ter in Lipp­stadt, dem Hochwasser von 1965.

Text: Jörg Rosenthal
Bitte Kritik, Vorschläge u.ä. per E-Mail einsenden.
Zurück  •  nach oben  •  Startseite Historisches Lippstadt  •  Zum Newsletter anmelden