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Lippstädter Stadtrecht, ca. 1196/1220

Wortlaut (übersetzt)
Kommentar

Nach der Gründung Lipp­stadts (1185) wurde die Stadt­bürger­schaft von Bern­hard II. zur Lippe mit Rechten aus­ge­stat­tet, die auf einer Ur­kunde in latei­ni­scher Spra­che nieder­ge­schrie­ben wur­den.
Foto der Urkunde Ein großes Foto der Ur­kunde fin­den Sie auf der ↗Face­book-Seite des Lipp­städ­ter Stadt­archivs.

Die Urkunde enthält leider kein Datum. Schon vor Jahr­hunder­ten gab es Dis­kus­sio­nen da­rüber, aus wel­chem Jahr die Stadt­rechts­urkunde ge­nau stam­men könnte, eben­so wie über das Grün­dungs­jahr der „Stadt zur Lippe“ dis­ku­tiert wurde.

1785 veröffent­lichte der Lipp­städ­ter Bürger­meis­ter Möller, der auch Ge­schichts­schrei­ber war, die „Alten Nach­rich­ten von Lipp­stadt“, worin er sich auf das Grün­dungs­jahr 1185 fest­legte und für die Stadt­rechts­urkunde das Jahr 1196 nennt. Andere nen­nen für die Ur­kunde das Jahr 1220, also die Zeit, als die Marien­kirche von Bern­hard II. ge­weiht wurde.
Eine spä­tere Ur­kunde von Bern­hard III., die eine Er­gän­zung zum Lipp­städ­ter Stadt­recht ent­hält, ist genau da­tiert: „Gegeben im Jahre Christi 1244 den 23sten De­cem­ber“.



Wortlaut der ersten Statuten

Die folgende Wieder­gabe des Textes der ersten Ur­kunde ist eine Über­set­zung aus dem Latei­ni­schen, die dem o.g. Werk von Jo­hann Anton Arnold Möller ent­nom­men wurde. Der Wort­laut der Über­set­zung ist in der Aus­drucks- und Schreib­weise von 1785.

Vermöge der Erfahrung, welche lehrt, daß münd­liche Ver­siche­rungen im Ver­lauf der Zeit, in Ver­gessen­heit ge­raten, durch schrift­liche Auf­zeich­nung aber Begeben­heiten im An­denken er­hal­ten werden, tun wir daher allen und jeden jetzt und in Zukunft kund; daß, da Wir Bernhard von der Lippe mit Er­laub­nis Sr. Kaiser­lichen Majes­tät, in unsern Be­sit­zun­gen eine neue Stadt an­ge­legt, Wir dies auf das Zu­reden unsrer Freunde und mit Ein­wil­li­gung Ihro kur­fürst­liche Gnaden von Köln unter der Bedin­gung ge­tan haben, daß Wir und unsre Nach­kom­men von Nutzen davon ziehen, und in einem ruhigen Be­sitz der­selben blei­ben. Weil nun dieser neue Pflanz­ort so­wohl in Ab­sicht der Ein­wohner als der Be­fes­ti­gung, noch nicht zu seiner Voll­kommen­heit ge­diehen ist; so ha­ben Wir es nach dem Rat unsrer Freunde in der Ein­wohner freien Willen ge­stellt, sich milde und gute Statu­ten, woher sie woll­ten, zu neh­men. Nach vor­her gegan­ge­ner Berath­schla­gung, haben sie sich end­lich die Soesti­schen aus­ersehen, doch so, daß sie die­jeni­gen, die ihnen darun­ter miß­fie­len ver­wer­fen, und die ihnen gut schei­nen­den aus­ersehen ha­ben. Diese selbst ge­wählte Statu­ten haben Wir dem­nach in fol­gen­der Ord­nung mit all­ge­mei­ner Ein­wil­li­gung ur­kund­lich aus­fer­ti­gen las­sen.

Erstlich.   Über alles Blut­ver­gießen außer des Krieges wol­len weder Wir noch unsre Nach­kom­men zu ur­tei­len haben sondern dies Recht soll den Bürger­meis­tern zu­kom­men, so, daß aller da­raus ent­sprin­gen­der Vor­teil auf die Be­fes­ti­gung des Ortes ver­wen­det wird.

Zweitens.   Wenn Becker, Bauern u.s.w. sich eines un­rech­ten Maßes oder Gewich­tes be­die­nen, sol­len die Bürger­meis­ter dies unter­suchen und da­rüber rich­ten.

Drittens.   Kein Bürger soll den andern außer­halb der Stadt gericht­lich be­lan­gen, wenn dies nicht von Rechts­wegen er­kannt ist, auch nicht vor ge­fäll­ter Sentenz den stra­fen­den Arm der Ge­rech­tig­keit auf­for­dern.

Viertens.   Wenn ein Bürger den andern tötet und über den Mord er­tappt wird, soll er nach den Geset­zen ge­richtet; hinge­gen sol­len sein Haus und seine andere Güter nicht kon­fis­ziert wer­den, son­dern den Erben blei­ben.

Fünftens.   Keiner kann 2 Tage vor und nach dem jähr­lichen Ge­richts­tage gericht­lich be­langt wer­den, wenn nicht eine schnelle Unter­su­chung er­for­der­lich ist, oder ein aus der Stadt ver­bann­ter er­tappt wird. Eben so wird am Sonn­tag, Diens­tag und Frei­tag kein Ge­richts­tag ge­hal­ten.

Sechstens.   Wenn einem Bürger in der Stadt etwas ge­stoh­len wor­den ist, und dies hernach wie­der er­hal­ten wird, soll dem Richter in der Stadt nicht da­von ab­ge­ge­ben wer­den.

Siebentens.   Wenn sich je­mand in der Stadt Jahr und Tag auf­hält, und bin­nen der Zeit keiner ihm etwas auf­bürden kann, nach der­selben ihm aber je­mand irgend­etwas zur Last legt, kann der­selbe sich von den Be­schul­di­gun­gen mit Vor­be­halt des recht­li­chen Ver­fah­rens los­sagen.

Achtens.   Weder Wir noch unsre Nach­kommen, wol­len ohne all­ge­meine Ein­wil­li­gung irgend­eine Ver­ord­nung machen. Ebenso aber auch weder die Bürger­meister noch Richter ohne Unsre, Unsrer Nach­folger und der Bürger Ein­wil­li­gung irgend­et­was fest­set­zen.

Neuntens.   Von dem am nörd­lichen Ende der Stadt in unsern Besit­zungen ge­le­ge­nen und ab­ge­tre­tenen Holzun­gen und Weiden, kön­nen alle Bürger zur rechten Zeit den Nieß­brauch haben.

Zehntens.   Wenn ein Bürger den andern im Bauen oder Zu­schlag ma­chen, stört, sol­len die ihn dem Hoven der Stadt be­stell­ten Richter die Sache unter­suchen, über­steigt es aber ihre Kräfte, den Bürger­meis­tern die­selbe vor­stel­len; und diese sol­len ein Ur­teil da­rüber fäl­len.

Elftens.   Wenn ein Bürger stirbt, und in der Stadt keine Erben hat, so sol­len die Bürger­meister das ganze Ver­mö­gen, es sei viel oder wenig, in Emp­fang neh­men, und mel­det sich bin­nen Jahr und Tag, kein, nach den Ge­set­zen legi­ti­mier­ter Erbe, das­selbe Uns oder Unsern Nach­fah­ren über­geben.

Zwölftens.   Wenn ein Bürger je­manden in einen straf­baren ver­trau­ten Um­gange mit seiner Tochter, Schwes­ter oder einen andern ihm im 3ten Grade der Bluts­verwandt­schaft ver­wandte Person an­trifft, soll er die­selbe mit ihm auf eine ehren­volle Art ver­loben. Wenn der­selbe aber keines­wegs sich mit ihr in ein Ehe­ver­sprechen ein­las­sen will, soll er ihr da­für, daß er sie ent­ehrt, und ihr ein künf­ti­ges gutes Ehe­bünd­nis er­schwert hat, 10 Mark be­zah­len.

Dreizehntes.   Allen An­kömm­lingen so­wohl als wirk­li­chen Ein­woh­nern der Stadt wird Zoll­frei­heit zu­ge­stan­den.

Vierzehntes.   Wenn ein Bürger bei dem Richter für 4 Gold­gulden Bürg­schaft ge­leis­tet hat, soll er dem­selben 2 Dena­rien ge­ben, 6 aber, wenn es in Gegen­wart von Zeu­gen ge­schieht. Mehr zu neh­men ist in Ab­sicht des Rich­ters wieder­recht­lich.

Fünfzehntes.   Kein Bürger soll von Uns oder einem der unsre Stelle ver­tritt außer­halb der Stadt zur Ver­ant­wor­tung ge­zo­gen oder auf irgend­eine andere Art be­ein­träch­tigt wer­den.

Sechzehntens.   Weder von Uns noch Unsern Nach­fol­gern soll der Stadt, ohne Ein­wil­li­gung der Bürger­meis­ter und Bürger, ein Richter ge­setzt, auch die­selbe nicht mit einem, so ge­nann­ten Schutz­vogtei­gericht be­las­tigt wer­den.

Diese Statuten haben Wir mit dem Siegel Unsers Sohnes Hermann unter­zeich­net, dem Wir näm­lich das ganze Re­gie­rungs­geschäft über­tra­gen ha­ben, als Wir mit Be­wil­li­gung Unsrer Ge­ma­lin Hedwig um Gott zu die­nen nach Lief­land ge­reist sind.



Kommentar

In der Einleitung des Urkunden­textes fällt auf, dass zu­erst be­grün­det wird, warum das Stadt­recht über­haupt schrift­lich fixiert wurde. Eine Be­grün­dung er­scheint uns heute merk­wür­dig, denn für uns wäre klar, dass ein wich­ti­ger Ver­trag oder ein Gesetz auf jeden Fall auf­ge­schrie­ben wer­den muss. Es scheint aber da­mals nicht zwin­gend er­for­der­lich ge­we­sen zu sein, denn sonst hätte man die Ur­kunde schon Jahre eher an­fer­ti­gen müs­sen.

Die frühe­ren germa­ni­schen Stämme hat­ten kein eige­nes Schrift­system und man war es ge­wohnt, dass Sitten und Ver­ein­ba­rungen münd­lich über­lie­fert wur­den. Und wenn ab dem Hoch­mittel­alter et­was auf­ge­schrie­ben wurde, nahm man nicht nur latei­ni­sche Buch­staben, son­dern auch gleich die latei­ni­sche Sprache, so wie die Ge­lehr­ten es von kirch­li­chen Texten ge­wohnt wa­ren.

Sogar noch Jahr­hun­derte spä­ter, als 1817 der Kreis Lippstadt ein­ge­rich­tet wurde, sollte der Land­rat sich „vor un­nützen Schrei­be­reien hüten und den Ge­schäfts­verkehr so­viel als mög­lich münd­lich be­trei­ben“. In der heu­ti­gen Büro­kra­tie ist das un­vor­stell­bar.

Der Inhalt des Stadt­rechts er­in­nert an das heu­tige Bürger­li­che Ge­setz­buch (BGB) - und das ist kein Zu­fall, denn das BGB (ab 1900) ist quasi ein Nach­fahre des germa­ni­schen Ge­wohn­heits­rechts. Zu der Zeit als die Lipp­städ­ter ihr Stadt­recht be­kamen, ent­stand in Ost­falen gerade der Sachsen­spiegel, das erste deut­sche Rechts­buch von 1220-1235. Die Leis­tung des Autors Eike von Repgow lag da­rin, die unter­schied­lichen regio­nalen Ge­wohn­heits­rechte zu er­kun­den, sie zu syste­ma­ti­sie­ren, zu ver­ein­heit­li­chen und auf­zu­schrei­ben - sogar auf deutsch (nieder­deutsch).

Dahingegen ist das Lipp­städ­ter Stadt­recht kein Rechts­buch, son­dern lis­tet nur die Aus­nah­men auf, die inner­halb der Stadt anders ge­hand­habt wer­den als es außer­halb einer Stadt üb­lich war.

Wie in der Einleitung der Ur­kunde steht, hat man für Lipp­stadt das Soester Stadt­recht als Vor­lage ge­nom­men. Und die Bürger haben sich Para­gra­phen aus­ge­sucht, die ihnen gut zu sein schie­nen. Das klingt ziem­lich cool und ist viel­leicht dem Um­stand ge­schul­det, dass Lipp­stadt die erste Stadt der Her­ren zur Lippe war und dass es noch kein Stadt­recht von der Stange gab. Denn das Soes­ter Stadt­recht aus dem frü­hen 12. Jahr­hun­dert ist das erste im deut­schen Raum nach­weis­lich auf­ge­zeich­nete Stadt­recht. Insge­samt war das Soes­ter Stadt­recht Vor­bild für 65 Städte im nord­deut­schen Raum, u.a. wegen der Hanse (Soes­ter Stadt­rechts­kreis, siehe Land­karte unten). Das Lipp­städter Stadt­recht wiederum diente als Vor­lage z.B. für Hamm sowie für wei­tere Lip­pische Städte.
Text: Jörg Rosenthal
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Die stadtrechtliche Verflechtung Westfalens
Landkarte Landkarte Quelle: Der Raum Westfalen, Bd. I: Grundlagen und Zusammenhänge, 1931
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