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Steintafel
Die Steintafel behauptet auch den Besuch der Königin
Stadtpalais


Vorwort von Jörg Rosenthal

Die preußi­sche WikipediaKönigin Luise, die für ihre Schön­heit und Volks­tüm­lich­keit be­wun­dert wurde, starb 1810 im Al­ter von nur 34 Jah­ren an einer Lun­gen­ent­zün­dung. Ihr Tod löste einen natio­na­len Schock aus. Sie blieb dem Volk nicht nur als junge Köni­gin in Er­in­ne­rung, sie wurde sogar „wie eine Hei­lige ver­ehrt, die den Kampf um die Ein­heit der Deut­schen be­gon­nen hatte“, schreibt ↗Philipp De­mandt in sei­nem Buch „Luisen­kult“.

Luises zweit­ge­bo­re­ner Sohn Wil­helm I. wurde 1861 König von Preu­ßen und 1871 erster deut­scher Kaiser, für den auf dem Lipp­städ­ter Rat­haus­platz ein Kaiser­denk­mal stand (1889 er­rich­tet, 1943 ein­ge­schmol­zen).


Rita Maria Fust
Die Legende von „Königin Luise in Lippstadt“

(Eine Zusammen­fassung des Heimat­blätter-Bei­trags von Rita Maria Fust, 2014 – ergänzt im Juli 2023)

Nicht ohne Stolz wird bei Stadt­füh­rungen er­wähnt, dass Königin Luise 1799 mit ihrem Ge­mahl im heu­ti­gen Stadt­palais über­nachtet habe. Das „adelt“ nicht nur das Ge­bäude, das ehrt die ganze Stadt. Bei­nahe weht ein royaler Hauch um das klassi­zis­ti­sche Haus, ver­gol­dete Buch­sta­ben auf einer stei­ner­nen Ge­denk­tafel wei­sen auf die könig­li­chen Gäste hin. So lässt Luises Glanz auch heute noch diese ohne­hin schöne Stadt ein klei­nes biss­chen mehr er­strah­len …


Gemälde
1807 in Ostpreußen: Empfang beim Frieden von Tilsit: Napoleon, Alexander I. von Russland, Luise und Friedrich Wilhelm III.


Bezüglich der Infor­ma­tion auf der Stein­tafel am Lipp­städ­ter Stadt­palais gibt es je­doch ein Pro­blem: Königin Luise von Preu­ßen war gar nicht in Lipp­stadt!

Wie kam es zu die­sem his­to­ri­schen Irr­tum? Woher kommt die Le­gen­den­bil­dung?

Beginnen wir von vorne:
1799 war König WikipediaFried­rich Wil­helm III erst 28 Jah­re alt und erst ein­einhalb Jah­re zu­vor ge­krönt wor­den. Köni­gin Luise war so­gar erst 23 Jah­re alt.

Üblich war, dass der König und seine Ge­mah­lin Huldigungs­reisen durch Preu­ßen unter­nah­men. Im Früh­jahr 1799 ging die Fahrt durch West­fa­len, das zu der Zeit zwar noch keine preu­ßi­sche Pro­vinz war, aber Lipp­stadt war seit 1614 zur Hälfte in preu­ßi­schem Be­sitz. Lipp­stadt lag zwei Mal auf der Reise­route.

Im Mai des Jahres 1799 wurde eine Auf­lis­tung nach Lipp­stadt ge­schickt, in der das Ge­folge des Königs, der Köni­gin und der König­li­chen Öko­no­mie nieder­ge­schrie­ben wor­den war. Gut 80 Per­so­nen muss­ten in Lipp­stadt unter­ge­bracht wer­den. Im Ge­folge der Köni­gin Majes­tät be­fan­den sich die Ober­hof­meisterin, eine Hof­dame, ein Kammer­herr, zwei Kam­mer­diener, eine Kam­mer­frau, zwei Garderoben­jungfern und zwei Kam­mer­lakeien, teils na­ment­lich ge­nannt.

Man entschloss sich, dass könig­liche Paar im Ge­bäude des heutigen Stadt­palais (damals ein Neu­bau!) unter­zu­brin­gen; das Ge­folge wurde auf an­ge­sehene Fa­mi­lien ver­teilt.

Anschließend galt es, die an­ge­mes­sene Ver­pfle­gung sicher­zu­stel­len. In diesem Kon­text zitiert Carl Lau­manns 1914 in den Hei­mat­blättern: „Von Neu­haus und Schwarzen­raben wer­den wir [der Magistrat; An­mer­kung RMF] gelbe Wur­zeln und Kopf­salat und von Münster viel­leicht Erbsen und Blu­men­kohl er­hal­ten.“ Lau­manns (1881-1960) lei­tet da­raus ab, dass das Leben bzw. die Er­näh­rung der Lipp­städ­ter am Ende des 18. Jahr­hun­derts sehr ein­fach und spar­ta­nisch ge­wesen sein müsse.

Der königliche Besuch in Lipp­stadt sollte für die Lipp­städ­ter wohl der Höhe­punkt des Jahres 1799 werden – was viel­leicht auch trotz allem ge­lang. Die Lipp­städ­ter werden diesem Erei­gnis ent­gegen­ge­fie­bert ha­ben, denn sie werden – wie das ganze preu­ßi­sche Volk – von den Er­zäh­lungen über Luises Schön­heit und An­mut eben­so be­geis­tert ge­we­sen sein, wie sie von den Schil­de­run­gen des Köni­gin­nen-Charisma in den Bann ge­zo­gen wor­den waren.

Luise, die Königin der Herzen, wie der Dichter August Wil­helm Schlegel sie nann­te, kommt nach Lipp­stadt! Vorfreude und Vor­be­rei­tungen werden sich viel­leicht die Waage ge­hal­ten haben. Der in ganz Preu­ßen vor­herr­schen­de Luisen­kult lässt ver­mu­ten, dass sich die Lipp­städ­ter min­des­tens so sehr – wenn nicht gar mehr! – auf ihre Köni­gin als auf den König ge­freut haben.

Umso größer mag die Ent­täu­schung ge­we­sen sein als sich herum­sprach, dass die Königin Lipp­stadt nicht be­suchen würde. Bürger­meis­ter Schmitz wünsch­te Klar­heit, ob es sich dabei um ein Ge­rücht oder um eine Tat­sache han­delt und er­kun­digte sich. Und tat­säch­lich, Köni­gin Luise würde nicht nach Lipp­stadt reisen.

Am 3. Juni 1799 kam König Fried­rich Wil­helm III mit Ge­folge (aber ohne seine Ge­mahlin) von Minden nach Lipp­stadt. Auf dem Markt (heute Rat­haus­platz) wurden die Pferde um­ge­spannt und man fuhr – wohl nach einer kur­zen Pause – weiter nach Wesel. Während des Auf­ent­hal­tes scheint es zu „Aus­schrei­tungen“ ge­kom­men zu sein, denn An­stand und Ord­nung wären ver­letzt worden, zi­tiert Lau­manns ein Schrei­ben des da­ma­li­gen Bürger­meis­ters, der sich über das Ver­hal­ten der Lipp­städ­ter be­schwer­te: „[…] Haus­väter und Haus­mütter, mehr aber noch Kinder, Hand­werks­gesel­len und Ge­sinde in schmut­zi­ger All­tags-Klei­dung […]“ hätten auf dem Markt un­ge­stüm ge­drängt. Daher hät­te der Magis­trat der Stadt ver­ord­net, „daß Jeder, der den viel­ge­liebten Mo­nar­chen auf öffent­licher Stra­ße und auf dem Markte sehen will, in rein­lichen Sonn­tags­kleidern er­scheine, dass nie­mand dem könig­lichen Wagen vor- oder nach­laufe, sich die Lipp­städ­ter an den Fens­tern still und ehr­fürch­tig ver­hal­ten und wenn der Mo­narch zu Bett gehe, sich alle vom Markt zu ent­fer­nen hät­ten.

Am 7. Juni kam seine Majes­tät von Minden zu­rück, ver­brach­te die wohl ruhige Nacht im Ge­bäude des heu­ti­gen Stadt­palais und fuhr am 8. Juni 1799 wei­ter nach Kassel. Das Ver­hal­ten der Lipp­städ­ter scheint tadel­los ge­wesen sein; alles ver­lief nach Plan, außer dass sich die Reise­route der Köni­gin ge­än­dert hatte.

1914 schreibt Carl Lau­manns in den Heimat­blättern über König Fried­rich Wil­helm III in Lipp­stadt und er­wähnt expli­zit, dass die Köni­gin ihren Ge­mahl nicht be­glei­tet hat, und trotz­dem glaubt heu­te je­der in Lipp­stadt zu wis­sen, dass Köni­gin Luise in Lipp­stadt war.

Und dafür gibt es nur einen Grund:
1956 wurde auf Ini­tia­tive des Lipp­städ­ter Heimat­bunds eine Ge­denk­tafel am Stadt­palais an­ge­bracht. In gol­denen Let­tern ist dort zu lesen: In die­sem Hause wohn­ten König Fried­rich Wil­helm III und Köni­gin Luise 1799.

Wie kommt es zu einer sol­chen Legenden­bildung? Interes­sant wäre das Proto­koll der Sit­zung des Heimat­bundes, auf der sowohl die Tafel selbst als auch ihr Wort­laut be­spro­chen und be­schlos­sen wurde. Doch der Heimat­bund be­sitzt lei­der keine Unter­lagen aus der Zeit, so­dass nicht er­mit­telt werden kann, wel­che Über­le­gung den Heimat­bund veran­lasste, die Tafel mit die­sem Wort­laut zu stif­ten.

Der Ursprung des histo­ri­schen Irr­tums ist wohl das unglück­liche Zu­sam­men­spiel von miss­ver­ständ­lichen For­mu­lie­run­gen, dem Luisen­kult an sich und dem be­rühm­ten Wunsch als Vater des Ge­dan­kens: Wäre Köni­gin Luise von Preu­ßen doch in Lipp­stadt ge­we­sen …

Ja, es wäre auch wirk­lich schön, nach wie vor auf dem Rat­haus­platz mit einem Eis oder einer Tasse Kaffee sit­zen zu kön­nen und sich vor­zu­stellen, dass die junge Köni­gin Luise von Preu­ßen in dem wun­der­schönen klas­si­zis­ti­schen Ge­bäude über­nach­tet hat. Und wer genü­gend Fan­ta­sie be­sitzt, kann sich den Be­such der Köni­gin in den royal­sten Far­ben aus­malen …

Doch es bleibt die Tat­sache, dass Köni­gin Luise nie in Lipp­stadt war. Zu hoffen ist, dass die Lipp­städ­ter einen ehr­lichen Weg finden, die heu­tige Erin­ne­rung an Köni­gin Luise in Ein­klang mit den rea­len Ereig­nis­sen des Jah­res 1799 zu brin­gen. – Denn: Lippstadt ist auch ohne Köni­gin Luises Glanz eine wun­der­schöne Stadt.

Von: Rita Maria Fust

Eine detaillierte Rekon­struk­tion der Odyssee der be­sag­ten Gedenk­tafel und eine Schil­de­rung dessen, was Köni­gin Luise wirk­lich im Mai 1799 tat und wie sie da­durch quasi die deutsche Lite­ratur­geschichte be­ein­flusste, lesen im aus­führ­lichen Original-Beitrag.
Sämtliche Quellen­angaben finden sich am Ende des Original-Bei­trags in den Heimat­blättern!

Aus: Rita Maria Fust: Die Legende von „Luise in Lippstadt“ – Und wo Köni­gin Luise von Preu­ßen wirk­lich war … In: Heimat­blätter Lipp­stadt 2014. Seite 81 - 85.

Lese-Tipp: Die Legende von Luise in Lipp­stadt findet sich eben­falls wieder in dem histo­ri­schen Roman: ↗„Die Gunst der Königin“ von Rita Maria Fust, Gmeiner-Verlag 2016.

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