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Straßenkarte
Das versteinerte Brot in der Kirche Hellinghausen


 
Das versteinerte Brot von Hellinghausen

Inhalt: Die Sage,
↓ Infos, Kirchenlied,
↓ ähnliche Sagen


Die Sage „Die beiden Schwestern“

Vor langen Jahren lebten zu Helling­hausen, einem freund­lichen Dörf­chen in der Nähe von Lipp­stadt, zwei Schwes­tern. Die eine war sehr reich und lebte mit ihrem Mann und ihren Kin­dern im Über­fluss, die andere aber war so arm, dass sie mit ihren sechs Kin­dern Hunger und Kälte er­tra­gen musste, denn sie war eine hilf­lose Witwe, die nur von Al­mosen lebte.

Viele Jahre lang hatte die reiche Schwes­ter den Jam­mer und die Ar­mut ihrer un­glück­lichen Ver­wand­ten an­ge­sehen, ohne ihr zu hel­fen, so sehr die arme Schwes­ter auch da­rum bat.

Eines Tages aber konnte die arme Mut­ter das Jammer­ge­schrei ihrer hungri­gen Kin­der nicht mehr er­tra­gen und sie ent­schloss sich, noch ein­mal zu ihrer Schwes­ter zu gehen und sie um ein Stück­chen Brot an­zu­flehen. Die rei­che Schwes­ter aber ant­wor­tete: „Ich habe kein Brot!“
Und als die arme Schwes­ter mit Trä­nen in den Augen noch in­niger in sie drang, rief diese mit gellen­der Stimme: „Das Brot, das ich im Hause habe, mag zu Stein werden!“

Da kehrte die unglück­liche Mutter mit Kummer im Her­zen zu ihren hungri­gen Kin­dern zu­rück.
Als nun am anderen Morgen die böse Schwes­ter den Schrank öff­nete, um das Brot heraus­zu­nehmen, siehe, da war es zu Stein ge­wor­den - und vor Schrecken stürzte sie zu Bo­den und war tot.

Quelle: ↗hellinghausen.de
Die Sage wurde dem Buch ent­nom­men: „Mein Heimat­land“, West­fä­li­sches Lese­buch, Crüwell Ver­lag, Dort­mund 1930.

Infos

Das verstei­nerte Brot ist in der Kirche in Helling­hausen neben dem Ein­gang aus­ge­stellt (Foto oben). Ursprüng­lich hing das steinerne Brot als warnen­des Bei­spiel an einer eiser­nen Kette hin­ter dem Hoch­altar. Auf­grund der Sage soll die WikipediaKirche in Helling­hausen schon im Mittel­alter eine regio­nale Attrak­tion ge­wesen sein.

Im Internet habe ich auch eine längere ↗ausge­schmück­tere Fas­sung der Sage ge­fun­den, die zu­sätz­lich die Ehe­männer der Schwes­tern und die famili­ären Situa­tio­nen ge­nauer be­schreibt.

Und sogar ein Kirchen­lied mit dem Inhalt der Sage habe ich ge­funden: „Gott ver­läßt die Seinen nicht“, ver­öffent­licht 1842. Im Folgenden sind beiden Seiten aus dem Gesangsbuch abgebildet und können durch Anklicken vergrößert werden.

Überraschen­der­weise wurde im Lied der Orts­name Helling­hausen durch „zu Hirsch­berg in der Stadt“ er­setzt. Da die­ses Kirchen­lied im Gesang­buch „Schlesi­sche Volks­lieder“ er­schien, wird wohl die Stadt Hirsch­berg im Riesen­gebirge (Schle­sien) ge­meint sein. Aber unter dem abge­druck­ten Kirchen­lied wird über die Her­kunft auf­ge­klärt: „Nach einer Lies­borner Sage er­eig­nete sich diese Ge­schichte zu Helling­hausen.“
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Andere Varianten der Sage aus anderen Orten

Nachdem ich anfangs dachte „Ja cool, wir haben hier eine ei­gene Sa­ge“, fand ich mit­tels der Inter­net-Suche auch noch ähn­liche Ge­schichten ...

Die Gebrüder Grimm haben 1818 eine Samm­lung ver­öffent­licht, in der auf ein „Hand­buch für Bürger und Bauern“ von 1744 ver­wiesen wird, worin es schon heißt:
„Man hat an vielen Orten, nament­lich in West­falen, die Sagen, daß zur Zeit großer Teurung eine hart­herzige Schwes­ter ihre arme Schwes­ter, die für sich und ihre Kind­lein um Brot ge­beten, mit den Worten ab­ge­wiesen: »Und wenn ich Brot hätte, wollte ich, daß es zu Stein würde!« worauf sich ihr Brot­vorrat als­bald in Stein ver­wan­delt.“

Also war schon 1744 klar, dass die Sage nicht nur in Helling­hausen, sondern „an vielen Orten, nament­lich in West­falen“ in Um­lauf ist. Falls die Sage ihren Ur­sprung in Helling­hausen ge­habt hat (was wir hier vor Ort natür­lich gerne glauben möch­ten), wäre es denk­bar, dass man anderen­orts ein­fach den Orts­namen aus­ge­lassen hat oder durch den eige­nen Namen er­setzt hat. Umge­kehrt wäre natür­lich ebenso denk­bar, dass man in Helling­hausen eine viel äl­tere Volks­sage mit dem eige­nen Orts­namen ver­sehen hat.

Um den Ort des Geschehens zu beweisen, bietet es sich an, ein Beweis­stück in Form eines ver­stei­ner­ten Brots zu be­sitzen. Aber um welche Art von Arte­fakt han­delt es sich bei dem Brot in der Helling­häuser Kirche eigent­lich? Ist es ein Stein, der zu­fällig einem Brot ähnelt - und bei dem man viel­leicht bild­hauerisch und mit Farbe und Mehl­streu ein biss­chen nach­ge­holfen hat?

Auch andere Orte besitzen stei­nerne Brote und er­zählen eine ähn­liche Ge­schichte. Stein­brote soll es auch in den fol­gen­den Kirchen geben: Landshut in Bayern, Danzig in Pom­mern/Polen, Leiden in Hol­land und Statzen­dorf in Öster­reich.

Ich finde es interessant, dass die stei­ner­nen Brote in Kir­chen auf­be­wahrt wer­den, denn die Volks­sagen selbst er­wähnen Gott nicht und nen­nen kei­nen reli­giö­sen Be­zug. Ich halte es für denk­bar, dass volks­tümliche Er­zäh­lungen nach der Chris­tiani­sie­rung von der Kirche adap­tiert wur­den, z.B. in der Form des o.g. Kirchen­lieds, wo­rin dann Gott ge­nannt wird. Hingegen werden in Volks­sagen und Legen­den zwar Moral und Wunder be­schrie­ben, je­doch ohne da­für eine auf Reli­gion oder Gott ba­sie­rende Er­klä­rung zu nennen.

Neben den Versteinerungs-Erzäh­lungen gibt zu­dem eine Vari­ante, in der beim An­schnei­den des Brotes Blut aus dem Brot fließt. Eine solche Er­zäh­lung stammt aus Dort­mund, wo ein Bäcker im Jahre 1579 wäh­rend einer Hungers­not Wucher­preise ver­langt: „Als er aber mitten in diesem Ge­schäft war, ist ihm sein Brot im ganzen Hause eines Tages zu Stein ge­worden und, wie er einen Laib er­grif­fen und mit dem Messer auf­schnei­den wollte, Blut da­raus ge­flos­sen. Darüber hat er sich als­bald in seiner Kam­mer er­hängt.“

Und aus dem Paderborner Land soll die Legende WikipediaGottes Speise“ stam­men: „Eine arme Witwe mit fünf Kin­dern bittet ihre reiche Schwes­ter um Brot, aber die ist hart­herzig und schickt sie weg. Als der Mann der Reichen heim­kommt und das Brot an­schnei­det, fließt Blut heraus.“
Die blutigen Varianten könnten histo­risch mit WikipediaHostien­wundern ver­wandt sein. Es gibt als immer noch eine Ge­schichte hin­ter der Ge­schichte.

Da die Legenden jahrhunderte­lang münd­lich weiter­erzählt wur­den, wird man nicht mehr heraus­finden kön­nen, wo die Steinbrot-Erzählung und andere Volks­sagen ihre Ur­sprünge hat­ten. Aber das spielt eigent­lich auch keine Rolle, denn ich finde, dass man es ein­fach als eine Er­zäh­lung ge­nie­ßen darf, so wie sie sich einem dar­bie­tet. Man darf es nur nicht zu wört­lich und zu ernst neh­men.

Zusammengesucht von Jörg Rosenthal.
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